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Wissen und Praxis – Selbstvertreter*innen fordern Aufmerksamkeit für ihre Situation

„Hier kann ich sein, wie ich bin!“, fasst Selbstvertreterin Karoline Bloterer zusammen, was für sie als von Demenz Betroffene wichtig ist. Einen Ort, an dem sie sein kann, wie sie ist, findet sie in der Selbsthilfegruppe Promenz und auch in diesen zwei Tagen des Demenz Meet Wien am 16. und 17. September im Kardinal König Haus.

Wenn sie sagt „Es geht mir gut und es geht mir nicht gut!“, bringt sie es souverän auf den Punkt, was für so viele Menschen, in ganz unterschiedlichen Situationen gilt. Und sie führt aus: „Sie können sehen, dass ich mich gut fühle und lustig bin, aber es gibt auch Dinge, die ich jetzt nicht mehr habe.“ Karoline Bloterer erzählt von Schwierigkeiten, sich Gelesenes in dicken Büchern zu merken, und gleichzeitig von der Erkenntnis, dass sie sehr wohl einen Artikel in einer Zeitung oder eine Wegbeschreibung lesen und sich erinnern kann.

Gleichzeitig prägte leichtes, beschwingtes gemeinsames Tun die Begegnungen am Demenz Meet. Die Teilnehmenden erkundeten die Bäume im Park mit Clemens Endlicher von den österreichischen Bundesforsten, der Promenz 7-Uhr-Tee lud am Abend zu schwungvollem Tanz, Tänzer Krisztian Gyürky motivierte Samstagmorgen die Ankommenden dazu, sich zu bewegen, und Rhythmikerin Ingrid Hörlezeder erzählte nicht nur von ihrer Tätigkeit in einem Tageszentrum, sondern erprobte die Wirkung von Schwung und Rhythmus auch im Saal. Jazz-Sängerin Sarah Wolf begleitete mit altbekannten Melodien die beiden Tage.

 

Ich habe einen Traum: Vertrauen, Respekt und Würde im Miteinander

Angela Pototschnigg, Selbstvertreterin und Mitglied von Alzheimer Europe und Peer-Beraterin bei Alzheimer Austria, betonte in ihrem Auftakt zum Demenz Meet, dass sich „keine andere Krankheit mit solcher Wucht auf ihr Ende konzentriert“. Dabei wird übersehen, so Pototschnigg, „dass es viele Jahre gibt, in denen ein gutes Leben möglich ist – wenn das Umfeld gut informiert ist und bereit ist, den Weg mitzugehen“. Und sie ist überzeugt: „Mit entsprechender Unterstützung ist noch jahrelang gutes, selbstbestimmtes Leben möglich.“ Sie verweist auf die Forderung nach persönlicher Assistenz für Menschen mit Demenz. Pototschnigg appelliert an das soziale Umfeld, zu erkunden, was Demenz bedeutet, um Menschen mit Demenz besser zu verstehen. Und sie ist davon überzeugt, dass auch Betroffene gut informiert über ihre Krankheit sein müssen, damit sie gut mit ihr leben können.

Angela Pototschnigg beschäftigt sich in ihrer Rede auch mit den späteren Phasen der Krankheit, wo es vielleicht notwendig wird, in ein Pflegewohnhaus zu übersiedeln, weil es mehr an Unterstützung braucht: „Wir brauchen eine aufmerksame Zuwendung. Eine Hand, die uns streichelt. Zwischen pflegerischer Versorgung und einfühlsamer Pflege besteht für mich ein Unterschied. Wohlfühlmomente, angenommen werden, wünsche ich mir. Ich will ein lebenswertes Umfeld am Ende meines Lebens.“ Sie verwehrt sich dagegen mit „Schatzi“ und „Omi“ angesprochen zu werden – und spricht damit vielen aus der Seele. „Sprechen Sie mit mir nicht in Kindersprache. Ich träume davon, dass sich im Umgang mit uns einiges ändert“, und sie fordert: „Vertrauen, Respekt und Würde im Miteinander, um eine Beziehung aufzubauen.“ Angela Pototschnigg wünscht sich für sich und für alle Betroffenen, möglichst lange selbstbestimmt leben zu können.

 

„Es ist normal, verschieden zu sein.“

Gf. Caritasdirektor Klaus Schwertner greift die Forderung von Pototschnigg und Bloterer auf und fordert, dass wir uns dafür einsetzen, dass es für alle Menschen möglich wird, möglichst lange selbstbestimmt zu leben und dass es immer mehr Orte gibt, an denen wir sein können, wie wir sind. „Dazu braucht es Wertschätzung und Solidarität. Das Verständnis dafür, dass es völlig normal ist, verschieden zu sein. Dass wir alle Talente, Stärken aber auch Schwächen haben, und dass wir nicht Menschen mit Vergesslichkeit an den Rand drängen, sondern in der Mitte der Gesellschaft halten.“ Schwertner betont, dass es dafür persönliche Assistenz und die Geldmittel dafür braucht – und Hartnäckigkeit darin, diese zu fordern. Er erinnert, dass es bereits einige Projekte gibt, die Wege aufzeigen, wie etwa die Freizeitbuddies der Caritas oder ein Blick über die Grenzen in die Schweiz, wo es bereits mehr Unterstützung für Menschen mit Demenz in der mobilen Pflege gibt, oder nach Deutschland, wo beinahe schon flächendeckende Tagesbetreuung angeboten wird.

 

Wie gelingt ein gutes Leben?

Um möglichst lange selbstbestimmt und sicher zuhause zu leben, braucht es auch adäquate technische Hilfsmittel. In einer Gesprächsrunde zu diesem Thema zeigt Andreas Trubel, Selbstvertreter Promenz, anschaulich auf, wie mit kreativen Lösungsansätzen technische Assistenz mit einfachen Mitteln möglich wird und begeistert mit seinen Beispielen das Publikum.

Experte Wolfgang Kratky, GGZ Graz, bestätigt, dass sich in der Forschung viel tut und es auch Lösungen am Markt gibt, die im Leben zuhause helfen können. Meist geht es dabei um die Sicherheit der Person (z.B. GPS-Funktion am Handy), um Sicherheit im Haushalt (z.B. Zeitschaltuhr beim E-Herd), um Kommunikation und Sozialkontakte (z.B. das virtuelle Café Promenz) oder auch um Kognitionstraining. Kratky weist darauf hin, dass in der Forschung oft sehr gute Lösungen gefunden werden, die dann aufgrund der fehlenden Wirtschaftlichkeit nicht auf den Markt kommen.

Elisabeth Reitinger, Institut für Pflegewissenschaften, Universität Wien, sieht oft eine Lücke zwischen den Technikentwicklungen und den Menschen, die die Technik nutzen. Hier ist die Forschung gefordert, stärker mit den Nutzer*innen gemeinsam zu entwickeln. Reitinger betont, dass Menschen mit Vergesslichkeit, wie alle anderen auch, durchaus in der Lage sind, den Umgang mit neuen Techniken zu erlernen.

Helena Untersteiner, Gedächtnisambulanz, med. Universität Wien, berichtet von einem Forschungsprojekt, in dem die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz erhoben wurden. Es hat sich gezeigt, dass die Hilfsmittel möglichst unauffällig sein sollen, so wurde z.B. eine Smartwatch von den Betroffenen gut angenommen, mit der auf Knopfdruck auch ein Angehöriger angerufen werden kann.

Katharina Klee, Café Promenz, zeigt auf, dass es auch in der virtuellen Kommunikation darum geht, einfach miteinander Mensch zu sein, dann rückt das Hilfsmittel in den Hintergrund und Begegnung findet statt. Dazu gehört für sie auch, dass jeder Gast im virtuellen Café Promenz, voll dabei ist, mit Kamera und Ton.

Insgesamt besteht große Offenheit, technische Hilfsmittel zu nutzen, wenn sie an die Lebensrealität und die individuelle Situation der Person angepasst sind – und wenn man sie kennt, davon gehört hat und sie ausprobieren kann. Mehr Wissen, mehr Entwicklung gemeinsam mit Betroffenen sind wichtige Bausteine für ein möglichst langes selbstbestimmtes Leben zuhause.

 

In Kleingruppen und bei der Piazza weitergedacht

Eine Piazza der guten Möglichkeiten zeigte ausgewählte, meist von freiwilligem Engagement getragene, Ansätze und Beispiele von Unterstützungsmöglichkeiten auf.

In Kleingruppen wurden die Ermutigungen weitergedacht, den Betroffenen und Angehörigen Respekt gezollt für ihren Mut, ihre Situation öffentlich zu machen und es wurde ihre Praxiskompetenz gewürdigt. Ihre Forderungen an Gesellschaft und Politik wurden einhellig mitgetragen und verstärkt. Es muss ums Mensch-Sein gehen, war eine Nachricht, und dass es normal ist, anders zu sein. Die Gesellschaft muss lernen, auf Leistung als Wert zu verzichten, muss lernen, Ruhe zuzulassen, gelassener zu werden, Zufriedenheit auch in den kleinen Dingen zu suchen. Auch müssen wir lernen, offen darüber zu sprechen, wenn wir einmal Hilfe und Unterstützung brauchen, und wo unsere Grenzen sind. Zum Offen-drüber-sprechen gehört auch das Zuhören, und dafür braucht es ein Gegenüber: „In der Gruppe ist es leichter“, waren sich alle einig. Einigkeit bestand auch darin, von der Politik konkrete Handlungen zu fordern. „Viel mehr von allem“ hieß es von den Teilnehmer*innen: größeres Unterstützungsangebot für Menschen mit Demenz und für ihre Angehörigen, mehr Informationsmaterial, mehr Bewusstsein für die Erkrankung.

Dominik Isler, vom Team der internationalen Demenz Meets, gratulierte den Teilenehmenden zum Wiener Demenz Meet und bekräftigte die Absicht Demenz Meets auch auf weitere Städte auszudehnen und an neuen Formen der Vernetzung zu arbeiten, indem für alle zugänglichen Plattformen geschaffen werden sollen.

Hier geht es zum vollständigen Artikel.

 

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